FILM NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (GER 1922)

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    Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (1922)

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NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS
NOSFERATU, A SYMPHONY OF HORROR

Directed by: F.W. Murnau.
Written by: Henrik Galeen
(from the novel "Dracula" by Bram Stoker).
Production company: Prana Film G.m.b.H., Berlin.
Executive Producer: Albin Grau,
Enrico Dieckmann.
Photography: Fritz Arno Wagner.
Set design: Albin Grau.
Costume design: Albin Grau.
Music: Hans Erdmann.
Cast: Max Schreck (Count Orlok / Nosferatu),
Gustav v. Wangenheim (Hutter),
Greta Schröder (Ellen, Hutter's wife),
Georg H. Schnell (Harding, a ship-owner),
Ruth Landshoff (Annie, Harding's sister),
Gustav Botz (Dr. Sievers, the town doctor),
Alexander Granach (Knock, a real estate agent),
John Gottowt (Professor Bulwer, a Paracelsian),
Max Nemetz (Captain),
Wolfgang Heinz (1st sailor),
Albert Venohr (2nd sailor),
Guido Herzfeld (landlord),
Hardy von François (doctor),
Karl Etlinger,
Heinrich Witte.
Studio / Locations: Jofa-Atelier, Berlin-Johannisthal,
Wismar, Lübeck (Salzspeicher), Lauenburg, Rostock, Helgoland, Castle Oravsky (Carpathians), Dolní Kubín on the Vratna pass, Schlesische Hütte, river Waag, Tegeler Forst.
Première: 04 Mar 1922, Marmorsaal, Berlin (preview),
15 Mar 1922, Primus-Palast, Berlin.
Censorship data: Berlin 16 Dec 1921 (no. 04960), 5 acts, 1967 m, prohibited for children.
Restoration data: 1984: restored colour version by the film archive of Munich (Germany), based on different German, French, and Spanish prints, including a print of the 1930 re-issue version DIE ZWÖLFTE STUNDE from the Cinémathèque Française which included scenes shot by Murnau not preserved in any of the other versions. Also, the German intertitles have been reconstructed based on a print from the Staatliches Filmarchiv der DDR. Screened at the Berlin film festival on February 20, 1984. Released on DVD (English intertitels) by Image Entertainment 1998, 2001 (Region 1) and Eureka Video 1999 (Region 2).

1995: newly-restored colour version by the "Project Lumière", done by the film archives of Bologna (Italy) and Munich (Germany), using a newly-discovered French nitrate print (found at the Cinémathèque Française by Spaniard Luciano Berriatúa in 1984), the reconstructed German intertitles, and portions from the Munich version. Screened at the Cannes Film Festival, Bologna's Cinema Ritrovato festival, and the London Film Festival. Released on DVD (English intertitels) by bfi Video Publishing 2002 (Region 2).   Review

2005/06: newly-restored colour version by Luciano Berriatúa for the Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden, in co-operation with the Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin, and the Cinémathèque Française, based on a tinted nitrate print with French intertitles from 1922 of Cinémathèque Française. Missing shots were completed by a safety print from 1939 of Bundesarchiv-Filmarchiv, drawn from a Czech export print of the 1920s. Other shots were taken from a nitrate print of the 1930s' version DIE ZWÖLFTE STUNDE preserved at Cinémathèque Française. Most of the original intertitles and inserts are preserved in a safety print from 1962 of Bundesarchiv-Filmarchiv, originating from a print of 1922. Missing intertitles and inserts were redesigned on the basis of the original typography by trickWilk, Berlin. 2007 released on DVD by Transit Film in Germany and Eureka Video in England (Region 2).   Review
Remakes: 1930: Die zwölfte Stunde (Germany, unauthorised newly edited and extended sound version),

1979: Nosferatu, Phantom der Nacht (Germany, Werner Herzog).



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ABSTRACT



Murnau's Dracula version is the quintessential horror film: terrifying, disturbing, weird. Truly a classic!




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REVIEWS



J--s
"Nosferatu"
Marmorsaal des Zoo


I.
Bram Stoker hat einen Roman mit dem Titel "Dracula" geschrieben, in dem -- wie ich jetzt erfahre -- ein Vampirwesen dahinrast, bis es endlich am Halse einer schönen Frau den Hahnenschrei vergißt und dadurch von seiner Ruhelosigkeit befreit wird. Henrik Galeen hat diesem Roman bestimmte Motive entnommen und sie zu einem Filmspiel zusammengetan, das, wie mir versichert wird, eine handlungsgetreue Reproduktion des Stokerschen Nosferatu ist, jenes Wesens also, das als Graf Orlok in einem verwunschenen Schlosse spukt, mit Immobilien handelt und gelegentlich den Menschen das Blut abzapft. Die Existenz dieses Nosferatu ist an sich zwar nicht ganz klar, es gehen hier sehr verschiedene Elemente des alten Volksglaubens ineinander über, verwischen und vermischen sich, und zuguterletzt verschwindet er wie Beelzebub in einer rauchenden Flamme, aber die Unumgrenztheit dieses spukhaften Vampirs, seine Festlegung auf die menschliche Form und dennoch die Entartung dieser Formen, seine Einstellung auf sehr reale kaufmännische Dinge -- und dennoch seine, wie sage ich? -- seine juristische Unpersönlichkeit..., diese Tatsachen der Vorstellung oder der Schilderung geben eine Atmosphäre des Unerforschten, Unglaublichen und durch das Bild dennoch Bewiesenen, daß dieser Film eine Sonderstellung unter den gleichzeitigen Erscheinungen einnehmen muß.

"Nosferatu" wurde dann und wann eine Symphonie des Grauens genannt, -- aber das Grauen scheint doch erst an zweiter und dritter Stelle zu stehen; an erster Stelle steht ein Begebnis, das man trotz Bram Stoker vielleicht mit dem Volks-Aberglauben identifizieren kann, mit dem primitivsten Hang der unverfälschten menschlichen Seele zum Übersinnlichen. Dieses Filmspiel ist eine Erzählung aus den Kindheitstagen der erdabgewendeten Poesie und Phantasie, etwas durchaus Unwirkliches und Märchenhaftes. Die Dinge passieren alle nicht, wie wir es von den Dingen gewohnt sind, sie werden uns einfach hingestellt als ein Konterfei ursprünglichster literarischer Gehversuche, mögen diese Versuche auch in einer stilistisch vorgeschrittenen Zeit wieder und immer wieder repetiert worden sein. Daraus ergibt sich die kritische Einschätzung des Werkes: es galt jene fast infantile Stimmungswelt in Bilder zu gießen, die wir nicht innerlich miterleben, sondern nur beschaulich betrachten können, gleichsam von einer höheren Warte, aus größter Entfernung und ohne jede Erregung des Herzens. Wenn zum Beispiel der Schoner "Empusa" unbemannt, von Geisterhand und Geisterhauch getrieben, über die Wellen rennt, wenn die Ratten aus alten Sargkoffern zutage kriechen und schließlich der aufgescheuchte Nosferatu an der Reeling entlangtaumelt, sich entlangschiebt, so packt das alles die Nerven nicht wie ein aufpeitschendes Schauspiel aus unseren Tagen, es stellt sich kein Entsetzen ein, kein menschliches Bedauern mit den angeblichen Opfern der Pest-Epidemie, sondern man bleibt neugierig auf die weitere Entwicklung einer Fabel, die nach unserem klaren Gefühl möglicherweise vor Aber-Generationen an eine naivere Glaubens-List rühren konnte, die für uns jedoch . . . Märchen bleibt.

II.
Der Film wurde "nach Motiven" des Romans "Dracula" verfaßt, heißt es. Wie nun, wenn man das Drehbuch auch nur motivisch auf den ganzen Nosferatu eingestellt hätte, also den Pestgeist, den Vampir -- oder wie man ihn nennen will, von aller Gebundenheit an Immobilien und deren Erwerb befreit haben würde? Etwa so, daß man die Menschheit, die nur in einigen wenigen Bildern und dann in etlichen Titeln als hinter dem Film stehend gekennzeichnet wird, mehr in den Vordergrund geschoben hätte, so daß, abermals frei, dieses Mal aber nach den dankbaren Vorbildern des "Diable Boiteur", den Blick in das stille Familienglück längst entschwundener Zeiten geöffnet worden wäre und das Wüten des Vampirs in allen diesen Familien auch das heutige Mitleid wachgerufen haben würde?! Nosferatu wäre besser seiner Vermenschlichung entkleidet worden, da die Pestilenz sich nicht an die körperliche Deformierung ketten kann, sondern mehr und mehr im Geschehen, in den Ereignissen, also nicht in der Person ihr eigentliches Grauenerregende besitzt. Dasselbe mit anderen Worten gesagt: im Film, der die Bilder scharf und klar als Wahrheit gibt, mußte die Wahrheit für uns Zeitmenschen vorteilhafter unantastbar in der Fabel und ihrer fast historischen Entwicklung liegen, und erst auf diesen Tatsachen konnte der Volksaberglauben, der ja stets im Dunkeln tappt, die nahezu mythische Figur des Vampirs zur Kontur werden lassen. Das auch uns angehende Grauen löst sich erfahrungsgemäß eher von den Särgen als von den Toten los, und die Ahnung von einem verheerenden Nosferatu wäre unbestritten besser im dunkeln als im hellen Bild genährt worden.

III.
Die Bilder nämlich sind sämtlich sehr schön, sehr klar und sehr scharf. Jedoch: was bei anderen, wirklichkeitsgetreuen Filmen ein Vorteil ist, muß bei einem Werk aus der Unwirklichkeit gegenteilig bewertet werden. Hier muß die künstlerische Unklarheit der Schattierungen vorherrschen, die Weichheit der verschwimmenden Wirklichkeit muß sich aus sattem Sepiabraun herauslassen, dicht hinter dem Vordergrund schon muß das Rätselraten der Dämmerung beginnen. Nosferatu kann ja nicht ganz von Scheinwerfern umstrahlt werden, er hat weder Eigenlicht, noch gibt ihm seine Epoche die Leuchtkraft von zehntausend Kerzen: er ist vielmehr ein Blutsauger, der nur des Nachts erwacht und in dieser Finsternis sein eigentliches Lebens-Element erblickt. Er muß, wie dies stellenweise auch geschah, mehr ein kauernder Parasit sein, als ein stets illuminierter Sieger. Denn mit der steigenden Helligkeit verliert nun einmal jedes Schreckgespenst seine Schrecken, wir alle fürchten nur das Ungewisse, das sich mit wenigen Manifestationen und Gesten aufdrängt und -- einprägt . . .

Die Handlung ist: Knock, ein Häusermakler, steht mit dem Grafen Orlok, dem ruhelosen Nosferatu, in geschäftlichen und auch anderen Beziehungen, und er entsendet seinen Gehilfen Hutter auf Orloks Burg, um ihm einen Kaufvertrag für etliche "schöne, öde Häuser" vorzulegen. Hutter ahnt nach zwei peinlichen Erlebnissen den Charakter seines unheimlichen Gastgebers und flieht. Orlok-Nosferatu hat sich inzwischen in einem Sarge auf den Schoner "Empusa" verladen lassen und kommt mit Hutter gleichzeitig in dessen Wohnort an, auf seinem Wege dorthin überall die Pest verbreitend. Auch in der Stadt bricht die Pest aus, doch befreit Hutters junge Frau Ellen das Land von der Plage, indem sie den auch sie heimsuchenden Vampir bis über Sonnenaufgang an ihrem Halse festhält. Orlok vermag bei Tageslicht nicht mehr in seinen Sarg zurückzukehren und verschwindet unter Hinterlassung eines kleinen rauchenden Flämmchens.

F.W. Murnau hat eine sehr schöne Regie-Arbeit geleistet, bizarre Szenen aus einem Spukwalde gestellt und in der Ausmalung der Vorgänge auf dem Schoner "Empusa" packende Momente ersonnen. Auch das Milieu der Kleinstadtstraßen ist geschickt festgehalten. In der Darstellung zeichnen sich viele weniger bekannte Namen aus: Max Schreck als Orlok, Alexander Granach als Häusermakler, Gustav von Wangenheim als Hutter, Greta Schroeder als Ellen, Max Nemetz als Kapitän, Wolfgang Heinz als Matrose und Ruth Landshoff als Annie Harding geben sorgfältige Leistungen und schaffen einen Film von starker Publikumswirksamkeit. Für die Kostüme und bauten übernahm Albin Grau die Verantwortung, die schöne Photographie rührt von F.A. Wagner her.

Hersteller: Prana-Film-G.m.b.H., Berlin.

IV.
Die Vorführung fand im Rahmen eines Gesellschaftsabends statt, der von einem Vorspiel eingeleitet wurde und in seinem Programm in einer "Serenade", einem Tanzspiel mit Elisabeth Grube, ausklang. Die überreich erschienenen Gäste wurden vor Eröffnung des Balles, der sich bis in die frühen Morgenstunden hinzog, sogar in einer Festpolonaise gefilmt; die Vorführung des Filmes wurde von der "Deka Compagnie" (Nießler & Co.), Berlin, mustergültig besorgt.

Und für die Stimmung sorgten die Teilnehmer nicht minder mustergültig, wobei sie sich von der Symphonie des Grauens zu einer köstlichen Symphonie der Heiterkeit aufschwangen.

Film-Kurier (Berlin) vol. 4, no. 52, 06 Mar 1922, p. 2.

Aros [Alfred Rosenthal]
Symphonie des Grauens


Es war einmal einer, der wollte nicht das Gruseln lernen. Er wollte eigentlich mit seiner Braut tanzen gehen. Da ging er zum Fest des Nosferatu. Er war überrascht, als nach einem kleinen Prolog sich der Saal verfinsterte, als die Projektionsapparate zu surren anfingen und ein Titel verkündete, daß eine Symphonie des Grauens über die Leinwand rollen sollte.

+

Man erzählt sich aus alter Zeit die Geschichte von den Vampyren, die unsterblich sind und ihre übernatürlichen Kräfte dadurch lebendig erhalten, daß sie ihren Mitmenschen nachts im Schlaf das Blut aussaugen.

Der Nosferatu ist einer dieser angenehmen Mitbürger. Er haust draußen in den Karpathen auf einem wundervollen Schloß, daß sich durch seine malerische Umgebung ausgezeichnet zur Verfilmung eignet.

Dazu komm, daß Okkultismus jetzt Trumpf ist, und daß darum in den deutschen Kinos für die Geschichte dieses grauslichen Wesens sicherlich das nötige Interesse vorhanden ist, das nun einmal unbedingte Voraussetzung für den Idealzustand ist, der dadurch zum Ausdruck kommt, daß an den Kassen das Schild "Ausverkauft!" prangt.

+

Die unsympatische Hauptrolle übernahm Max Schreck aus München. Er stand vor einer schwierigen Aufgabe. Vom Erhabenen zum Lächerlichen war bei diesem blutsaugenden Gespenst nur ein kleiner Schritt.

Im Marmorsaal erlebte man zwar das Mysterium des Nosferatu etwa so, wie man Nachts zwischen zwölf und eins E.T.A. Hoffmann oder Edgar Alan Poe liest. Wie aber wird es bei der berühmten Waschfrau von Treuenbrietzen sein, die durch die jahrelange Lektüre des Büchlein Abendrot oder durch die zweihundertsechsundvierzig Hefte Schinderhannes für die Symphonie des Grauens auch nicht genügend vorgebildet ist? Hier erhebt sich die Frage: "Kunst oder Nichtkunst?" Weil sich bei diesem hochkünstlerischen Werk die Grenzen zwischen Kitsch und Kunst eng berührt.

+

Ich sah selten ein Werk, bei dem die Stimmung des Manuskripts sich so vollendet in der Landschaft widerspiegelt, wo das Zusammenspiel der Darsteller so gut abgetönt ist, und wo von Gestalten, die auf der Scheide zwischen Komik und Tragik fünf Akte lang wandelten, die verhängnisvolle Klippe so sicher überwunden wurde.

Sie alle verdienen restlos gelobt zu werden. Greta Schröder und Ruth Landshoff, der melancholische junge von Wangenheim, John Gottowt, Alexander Granach, der in vielem an Werner Kraus erinnert, und G.H. Schnell.

+

Ueber dem Ganzen waltet sichtbar unsichtbar F.W. Murnau, ein Mann, der mit zu denen gehört, die bei der Zukunftsentwicklung des reinen Filmstils ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben.

Die Schiffsszenen, bei denen Atelier und Wirklichkeit vollendet vermischt wurden, sind kleine Kabinettstücke. Einmal wegen der Szenenbilder an sich, dann aber auch wegen der wundervollen Durcharbeitung der Szenen im einzelnen.

Dabei sei erwähnt, daß unter den Matrosen durch sein schauspielerisches Können besonders einer auffällt. Der junge Künstler, der am Staatstheater wirkt, sollte bald einmal vor größere Aufgaben gestellt werden.

+

In diesem Film waren dem Architekten eine Reihe schwieriger Aufgaben gestellt. In herrlichen Naturszenerien schneiden Bauten ein, die einmal stilecht, zum andern aber phantastisch sein sollen. Es wurde Stimmung verlangt, die aber durch reale Mittel geschaffen werden mußte, weil die Personen selbst schon auf dem äußersten Punkt der Phantastik wandelten. Das alles hat Albin Grau so gut gelöst, wie man es vom künstlerisch empfindenden Filmarchitekten verlangen kann.

+

Vorher und nachher gab es Prologe und Festspiele. Gut gemeinte Umrahmungen, die aber unter mangelnder Vorbereitung litten. Herr von Ledebur erzählte in seinem Prolog einige Dinge, die teils gedanklich, teils aber durch die Art des Vortrags unverständlich waren. Dann gab es ein Vorspiel auf dem Theater, bei dem Herr Schreck behauptete, daß er alles könne. Das soll nicht bestritten werden. Aber man braucht das nicht in dem Ton zu sagen, der an jene Inserate erinnert, bei denen die Pointe lautet: "Man kann zwei Liebhabern nicht zu gleicher Zeit dienen!"

+

Die Musik zu der Tanzerei und zum Film stammt von Doktor Erdmann, der uns manchmal durch wundervolle Geigenklänge in den Himmel der echten Kunst führte. Seine Filmmusik war eine feinsinnige Nachempfindung des Filmspiels. Das Orchester sang schmelzend und süß, wenn verklärte Liebe im Filmspiel sich zeigte, seine Pauken drönten dumpf, wenn seelisches Gewitter heraufzog, und schwoll zum Fortissimo, wenn der dunkle Segler des menschenfressenden fliegenden Holländers durch die wildaufschäumende See zog.

Wenn nicht alles so zur Geltung kam, wie es in der Partitur gedacht war, so mag das daranliegen, daß die Musiker des Herrn Reimbach ja sonst nicht gerade auf Beethoven oder Richard Strauß eingestellt sind.

Aber die Musici hielten sich wacker. Sie erhielten eine starke Stütze an dem Dominatorharmonium, das eine merkwürdige Kombination zwischen künstlerisch vollendetem Orchestertrion und Großer Orgel darstellt, und das Herr Schmidt mit Virtuosität spielte.

+

N.B. Das Instrument ist von der Firma Schiedmeyer für den Abend unberechnet zur Verfügung gestellt, eine Tatsache, die nicht nur im Programm bekannt gegeben wurde, sondern um deren Bekanntgabe mich Urahne, Großmutter, Mutter und Kind gebeten haben.

+

Die Symphonie des Grauens artete in einen Ball aus. Man sah die Prominenten des Films: Lubitsch, Kräly, Johannes Riemann, Heinz Schall, die großen Verleiher, Filmstars und solche, die glauben, es zu sein.

Man richtete einen Pendelverkehr zu der Veranstaltung der Schule Reimann ein, wo diejenigen, die am grausigen Nosferatu noch nicht genug hatten, sich von den praktischen Auswirkungen der modernsten Kunstrichtung noch eine Gänsehaut anschaffen konnten, man las um zwei Uhr den "Lokal-Anzeiger" mit dem Festbericht und vergaß bei [word missing] und Jazz und Shimmy das Gruseln, Okkultismus und Vampyrismus und sogar die Polizeistunde.

Berliner Lokal-Anzeiger, Monday special edition no. 10, 06 Mar 1922.

R. W.
Nosferatu. -- Die Serenade.
Marmorsaal des Zoo.


Es war mehr, als nötig, und es wurde weniger, als die Veranstalterin, die Prana-Film-G. m. b. H., gutmeinend beabsichtigt hatte. Da sie ihr Filmspiel "Nosferatu" im weitgezogenen Rahmen eines Festes (mit Balltoiletten, Fracks und Smokings, auch mit einigen Biedermeierkostümen) uraufführen lassen wollte, hatte sie geglaubt, auf ein Vor- und Zwischenspiel nicht verzichten zu dürfen.

Kurt Alexander hatte diese umfangreiche Dichtung besorgt, die sich in der äußeren Form an das Goethesche Vorspiel auf dem Theater anlehnt. Auf einer glücklich dem Marmorsaal des Zoo eingebauten Bühne las einer, der als "der Direktor" bezeichnet war, unverständlich und ungeschickt Vers um Vers ab, während "der Schauspieler" und "die Sängerin" wenigstens bemüht gewesen waren, ihre Rollen dem Gedächtnis einzuprägen. Es war umständlich, ermüdend, überflüssig, erregte Unwillen: Marschners "Vampyr"-Ouvertüre, die ein trefflich funktionierendes Orchester hinter Vorhängen zu Gehör brachte, wäre bessere, stimmungsechtere Vorbereitung gewesen. Und es war klug, daß man sich schnell entschloß, das Zwischenspiel und einen Prolog zur "Serenade" preiszugeben.

"Nosferatu". Henrik Galeen hat dieses Filmspiel nach Motiven von Bram Stokers Roman "Dracula" verfaßt. Er schrieb eine Sinfonie des Grauens, mischte phantastisch-Uebersinnliches mit real-Menschlichem und schug die Grundlage, auf der F.W. Murnaus Regie aufbaute. Eine einfühlende, erfinderische Regie, die auf künstlerischer Linie den Absichten des Verfassers folgte, sie plastisch machte, die drohenden Klippen der Lächerlichkeit umschiffte und den Atem der Zuschauer stocken ließ. Murnau zog die Landschaft und das sturmgepeitschte Meer heran, die er in wundervoll gesehenen Ausschnitten auf das Filmband brachte, er wählte mit sicherem Griff die passenden Oertlichkeiten (alte Städtebilder von düster-malerischem oder traulich-behaglichem Reiz), hob Gespenstisches in den Bereich der Gegenständlichkeit und durfte sich -- für die Bauten -- auf die kluge Hilfe des Malers Albin Grau stützen.

Die Wucht und Kraft des Films liegt nicht so sehr in seiner dramatischen Handlung, wie in dem Spukhaften, die Nerven Aufpeitschenden. Denn die Handlung ist von mehr epischem Ablauf -- ohne den inneren Zwang eines Opfers, durch das die junge Frau Hutter die Welt von Nosferatu befreit. Nosferatu ist ein Werwolf, der aus Transbaikalien als Pestträger nach Wisborg kommt. Das große Sterben hebt an, Sarg um Sarg wird in langer Prozession durch die verödenden Straßen hinausgetragen. Und nur, wenn ein reines Weib sich freiwillig dem Vampyr ausliefert und ihn festhält bis zum ersten Hahnenschrei, kann der Fluch gelöst werden. Hier liegt der Fehler des Films, der Psychologisches nur lose streift, aber nicht umgreift und Seelenmotivisches allzu lässig nimmt. Wäre Galeen nicht bei flüchtigen Andeutungen stehengeblieben -- dies hätte ein in jedem Betracht ungewöhnlicher Film werden können.

Den Nosferatu gab Max Schreck aus München. Er suchte die Dämonie durch starre Unbewegtheit zum Ausdruck zu bringen, die oft wirkte, ohne immer am Platz zu sein. Gustav v. Wangenheim hatte beherzten Jugendmut, stürmende, drängende Frische, lachendes Leben für den Hutter, dessen Weib Frl. Greta Schroeder mit tiefer Verinnerlichung spielte. In kleineren Rollen waren die Herren Granach, Gottowt und Heinz sehr bemerkenswert.

Die begleitende, durchaus modern gehaltene, sinnfällig und effektvoll illustrierende Musik hat Hans Erdmann komponiert, der danach noch mit seinem Tanzspiel "Die Serenade" zu Gehör kam. In diesem Werkchen, das orchestral ebenfalls gekonnt ist, erscheint er bald mozartisch, bald rosenkavalierisch und weiß an der Hand seiner Vorgänger die tändelnde Grazie des Rokoko einzufangen. Es ist eine liebenswürdig-leichte Komposition, die aber immerhin mehr durch Mittler empfangen ist, während die zum "Nosferatu" eine eigene Physiognomie hat.

Fraz Grube von der Staatsoper war die Tänzerin, die durch die Serenade und den Empfang eines Kavaliers von der Erfüllung ihrer Pflicht gegen das Theater zurückgehalten wird. Sie machte das mimisch nicht schlecht, tänzerisch ohne Anmut, erdenschwer, eindruckslos. Und Frl. Messina, die als maurischer Leibdiener sprühenden, augenblitzenden Humor hatte, stellte sie in den Schatten.

Berliner Börsen-Courier vol. 54, no. 110, 06 Mar 1922 (late edition), p. 2.

ej.
"Nosferatu".


Das ist Film: gespensterische Kutschen huschen durch Waldesschluchten, Schreckgespenster jagen auf Menschen, Pest bricht aus, Schiffe fahren unbemannt in Häfen, Särge mit Erde und Mäusen flitzen aus Keller auf Wagen, in Schiffe, in zerfallene Hauslöcher. Das ist Film: ein Wesen Gespenst-Mensch kriecht, klettert über die Leinwand -- und zwischendurch als Konzession auszahlende Durchschnittspublikum: eine Liebesgeschichte mit tragischem Ende. "Nosferatu" heißt dieser Film, der in den Fußstapfen Dr. Caligaris fünf Akte lang Gruseln erregt. Weil ihn kein Theaterbesitzer ins Haus einlassen will, hat man ihn zunächst in einer Sonderveranstaltung im Marmorsaal im Zoologischen Garten nach einem unpassenden Vorspiel und vor einem graziösen Tanzspiel und Ball vorgeführt. Henrik Galeen, der nachempfindende Autor, ist ein Knappe aus der Schule Wegeners. Sein Vampyr "Nosferatu" könnte aus Wegeners Werkstatt entsprungen sein: sprechenrampenfremd, buchfeindlich; ein eigener Stil-Film. Murnau, sein Bildlenker, stellt die Bildchen, sorglich durchgearbeitet, in sich abgeschlossen. Das Schloß des Entsetzens, das Haus des Nosferatu sind packende Leistungen. Ein Motiv-Museum. Den Nosferatu gibt er einem Leinwandneuling: Max Schreck. Der bringt ihn als Kleinkindergreuel, düster, leichenblaß, mit Teufelskrallen. Sein Wesen ist Alexander Granach, absichtlich betont grotesk. Erfrischend in all dem traurigen Dunkel: Gustav v. Wangenheim, der Held, der Lichtblick, der Besieger des Vampyrs. Und Greta Schröder, sein Eheweib, photoschön in großen Szenen. Hans Erdmann, der die "Symphonie des Grauens" musikalisch ausstattete, fand eine Lösung des Problems der Filmkomposition.

Vossische Zeitung (Berlin) no. 111, 07 Mar 1922 (early edition).

H.W. [Hans Wollenberg]
Nosferatu.


Man versichert, daß einige Damen, die am Sonnabend der Nosferatu-Première beiwohnten, eine schlechte Nacht gehabt haben. Und das scheint nicht unglaubwürdig. Denn das Grauen in Kunstform zu gießen, ist in dieser Vollendung bisher nur den Hoffmann, Pol und Evers auf dem Gebiete der Literatur gelungen. Und der Mann des Grimmschen Märchens, der auszog, um das Gruseln zu lernen, wäre bei diesem Film auf seine Kosten gekommen. Der Nosferatu-Film ist eine -- Sensation; denn er verläßt radikal die ausgetretenen Geleise der hundertfach neu aufpolierten Liebesgeschichten und des mechanistischen Abenteuers. Er schöpft aus voraussetzungsloser Phantastik, deren Born der schauerliche Aberglaube vom Menschenblut trinkenden Vampir ist. Die Geschichte vom gespenstischen Vampir Nosferatu, der Tod, Pest und Entsetzen verbreitet, ist mit bannender Eindringlichkeit hier zum Lichtspiel gestaltet. Stimmung schaffende Elemente sind herangeholt, wo sie immer die Linse fand: Düstere Hochgebirgsklüfte, wildbrausende See, sturmgepeitschtes Gewölk, unheimliches Gemäuer. Ein Musterbeispiel dafür, wie der Film die Stimmungen der Landschaft für seine Wirkenszwecke auszunutzen hat. Trefflich gezeichnet sind die Figuren des Spiels: Gustav von Wangenheim und Greta Schroeder, in deren Jugend und Liebe das Grauen hineingreift; Gronachs gespenstischer Häusermakler; und Max Schrecks Nosferatu, in brillanter Maske und Gestik, wenngleich er in einigen wenigen Momenten noch transzendentaler, noch körperloser wirken könnte. Henrik Galeens Manuskript ist von wirkungsvollstem, ausgewogenstem Aufbau. F.W. Murnau hat mit der Inszenierung eine Meisterleistung vollbracht. F.A. Wagners Photographie holt feinste Valeurs heraus. Die Bauten von Albin Grau dürfen als wesentliches Stimmungsaggregat nicht unerwähnt bleiben. Um eine Schlußfolgerung zu ziehen: Dieser Prana-Film, den am Sonnabend nur ein kleinerer Kreis sah, muß hinaus in die Kinos; man hat nicht das Recht, dem Publikum ein derart interessantes (um nicht zu sagen sensationelles) Werk, eine solche Gesamtleistung vorzuenthalten. Diese Uraufführung fand im Rahmen eines Festes statt, das von der Prana veranstaltet wurde.

Lichtbild-Bühne (Berlin) vol. 15, no. 11, 11 Mar 1922, p. 49.

-- o --
Nosferatu.


Die Aufgabe, die sich die Prana-Film-Gesellschaft mit diesem von Henrik Galeen nach Motiven des Romans "Dracule" nach Bram Stoker entworfenen Film gestellt hat, war keine leichte. Aber sie hatte es mit einem erstaunlich großen Gelingen fertig gebracht, die Gestalt eines alten Volksaberglaubens, einen bösen Vampyr, als geisterhafte Erscheinung durch eine Handlung hindurchgehen zu lassen. Ein Häusermakler, Knock mit Namen, schickt zu dem Grafen Orlok, dem unheimlichen Nosferatu, seinen Vertreter Hutter, damit er mit ihm einen Kauf über einige Häuser abschließt. Die Erlebnisse, die der Gehilfe auf dem verwunschenen Schlosse des Grafen hat, veranlassen ihn schließlich zu einer verzweifelten Flucht. Aber Orlok-Nosferatu ist in einem Sarge auf ein Schiff verladen worden und gelangt gleichzeitig mit Hutter in dessen Wohnort. Der Unheimliche verbreitet überall die Pest, bis eine junge Frau das Land von ihm loskauft, indem sie ihn den Sonnenaufgang bei ihr vergessen läßt. Damit muß sein Dasein enden, und er verliert sich in nichts.

Man kann sagen, daß die Gestalt des Vampyrs eine größere Wirkung hätte, wenn die Menschen der Handlung mehr in den Vordergrund und er mehr als Schemen unter sie käme. Dann würde nämlich ihr Schicksal uns näher gerückt sein, während so der Film, der in einer vergangenen, aber glaubensfroheren Zeit gruselig empfunden würde, heute sich vor uns wie ein Märchen ausnimmt. Auch würde es der Bösartigkeit dieses Nosferatu noch mehr entsprochen haben, wenn die Bilder das Düstere seines Daseins rein photographisch stärker herausgearbeitet hätten. Das alles sind Erwägungen, die man nur anstellen kann, weil der Film als Ganzes ein große Leistung bedeutet und dazu anregt, Möglichkeiten feinster Vervollkommnung nachzuspüren. Die Auswahl der Bilder ist mit einem hervorragend feinen malerischen Sinne getroffen worden und läßt auch technisch nichts zu wünschen übrig. Der Spielleitung F.W. Murnaus ist hier wieder ein großer Wurf gelungen. In der Hauptrolle ist Max Schreck in seiner Maske als blutsaugender böser Geist eine glaubhafte Phantasiegestalt. Neben ihm stehen Alexander Granach als Häusermakler, Gustav von Wangenheim als Hutter, Greta Schröder als Frau Ellen, und auch Max Nemetz, Wolfgang Heinz und Ruth Landshoff bieten Leistungen, die sich geschickt in den nichts weniger als gewöhnlichen Rahmen einfügen.

Die Vorführung im Marmorsaale war in das Gewand eines Gesellschaftsabends gekleidet und wurde eingeleitet durch ein mäßiges Vorspiel von Kurt Alexander, während später Elisabeth Grube in einem Tanzspiele auftrat, dessen musikalische Begleitung durch das Meisterharmonium "Dominator" der Schiedmayer-Pianoforte-Fabrik eine besondere Note erhielt.

Der Film (Berlin) vol. 7, no. 11, 12 Mar 1922, p. 45.

--k.
Nosferatu.


Der lang erwartete Großfilm der Prana, der kürzlich auf dem Fest des Nosferatu aus der Taufe gehoben wurde, ist seit Mittwoch auch der Allgemeinheit zugänglich. Die Direktion des Primus-Palastes hat das Wagnis unternommen und dem Grauen Einlaß in ihre Mauern gewährt. E.T.A. Hoffmann redivivus! In einer kleinen Hafenstadt der Biedermeierzeit lebt ein junges Ehepaar im Glücke seiner jungen Ehe. Doch schon wirft das Unglück seine Schatten voraus. Der junge Hutter reist im Auftrag seines Geschäftsherrn, eines Grundstücksmaklers, nach dem einsam gelegenen, von den Umwohnern ängstlich gemiedenen Karpathenschloß eines Grafen Orlok. Kaum innerhalb des Bannkreises jener schaurigen Feste angelangt, hat Hutter die erste gespenstische Geschichte. Eine geheimnisvolle Kutsche erwartet ihn und bringt ihn in grausiger Fahrt zu der Burg. Das Tor springt auf, und Graf Orlok, der Nosferatu, tritt ihm entgegen. Jetzt beginnt ein wahrer Hexensabbat von Fürchterlichkeiten. Gleichzeitig fängt der Nosferatu in Wisborg zu wirken an. Hutter, der nach dem Verschwinden des Nosferatu gleichfalls seine Heimatreise angetreten hat, kommt dort an, als die schwarze Pest -- der Nosferatu -- ihren Einzug in die Stadt gehalten hat. Ein großes Sterben hebt an, das erst mit dem Opfertode Ellens, der jungen Frau Hutters, die freiwillig dem Vampir ihr Blut gibt, sein Ende findet. Der Nosferatu ist nicht mehr. Der Film, dessen Fabel hier nur kurz skizziert werden kann, macht auf weniger robuste Nerven einen starken Eindruck, der durch die geschickten Gegensätze von Biedermeierlieblichkeit und spukhaftem Wesen noch verstärkt wird. Die Technik des Regisseurs hat im Verein mit einer auserlesenen Künstlerschaft ein Filmwerk geschaffen, das sicherlich den Anfang eines neuen Filmtyps bilden wird. Von den Mitarbeitern seien genannt: Max Schreck als Nosferatu, eine einzigartige Leistung, ferner Alexander Granach, der dem tobsüchtigen Häusermakler Knock Blut und Leben verlieh. Gustav v. Wangenheim, als Hutter, Greta Schroeder als Frau Ellen schufen gleichfalls überzeugende Gestalten. Auch die übrigen Rollen waren gut untergebracht. F.W. Murnau, der Regisseur, hat Hervorragendes geleistet, desgleichen Albin Grau, dem die Sorge für den äußeren Rahmen des Stückes zufiel. Die Photographie F.A. Wagners war sauber und geschickt. Hans Er[d]mann hat das Stück musikalisch gut illustriert. Der Applaus war lebhaft und verdient, was übrigens auch von dem sehr netten Beiprogramm gilt.

Der Tag (Berlin) no. 130, 17 Mar 1922 (late edition).



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REPORTS



--l.
Der Gruselfilm.


Heinrich Galeen hat unter dem Titel "Nosferatu" für die Prana-Film G.m.b.H. "eine Symphonie des Grauens" geschrieben, wie sie im Film bisher wohl noch nicht gezeigt wurde.

Es ist merkwürdig, welche ungeheuere Anziehungskraft das Gruselige besitzt, obwohl doch ein jeder möglichst wenig davon wissen will. So nahegelegen die Trickmöglichkeiten des Films auch die Ausnützung dieses beliebten Elements erscheinen lassen, so sind doch fast alle bisherigen Versuche mehr oder minder mißglückt. Gerade die Schärfe der photographischen Platte verlangt nämlich für derartige Filme eine Präzisionsarbeit, wie sie im allgemeinen eben nicht geleistet werden kann. An diesem Film, in dem bereits drei Monate Arbeit steckt, wird man auf künstlerisch und technisch neuen Wegen versuchen, das Filmbild auch für Stoffe E.Th. Hoffmanns oder Poes nutzbar zu machen. Die Namen dieser Schriftsteller bedeuten nicht nur einen vagen Vergleich; denn es liegt der Prana-Film absolut fern, die billige Wirkung von Schauerromanen zu erzielen, vielmehr soll die Wirkung nicht durch eine unsinnige Handlung zerstört, sondern durch eine sinnvolle gehoben werden. Der "Nosferatu" ist eine sagenhafte Figur, ein Sinnbild des Todes. Sein Eingreifen oder Erscheinen bedeutet Schicksal. Hier ist ein junges Mädchen, das durch ihn Ueberwinderin des Todes werden soll.

Im scharfen Licht der Jupiterlampen ist freilich das Spukhafte seines geheimsten Reizes entkleidet. Und so grauenvoll Max Schreck mit seinen rotummalten Augen, seinem künstlich zahnlos gemachten Mund, seinen Krallen an den Händen auch aussieht, so bleibt er doch mehr oder minder Schauspieler, wenn auch guter Schauspieler. Andererseits jedoch war die peinliche Realistik eines Rattenrudels, das pfeifend aus dunklen Löchern kam, kaum zu überbieten.

Der Film, von dem einzelne Teile in der Hohen Tatra aufgenommen sind, zeigt, nach den Photos zu urteilen, eine Reihe wundervoller Szenen, keineswegs durchweg und nur grauenvoll, sondern auch mit vielen freundlichen, malerischen und lieblichen Bildern durchsetzt, allzu Realistisches gedämpft durch Rückverlegung der Handlung in die Biedermeierzeit.

Der Nosferatu, der bereits nach Amerika verkauft ist, verschlingt allerdings beträchtliche Summen, die aber durch die Sorgfalt, die T.W. Murnaus Regie aufwendet, sich sicher lohnen werden. Die Bauten und Kostüme stammen von Grau, die Photographie hat F.A. Wagner übernommen und man steht bereits im Begriff, ein eigene Musik durch Dr. Hans Erdmann schreiben zu lassen. Von den bekannteren Hauptdarstellern, die nicht nach klangvollen Namen, sondern nach Eignung, nach Typen gewählt wurden, seien noch Greta Schröder, Gustav von Wangenheim und John Gottowt genannt.

Der Film (Berlin) vol. 6, no. 42, 16 Oct 1921, p. 54.

Anonymous
Nachtaufnahmen zu "Nosferatu"


Am Donnerstag wurden im Jofa-Atelier die letzten Scenen des Pranafilms "Nosferatu" gedreht. U.a. war im Freien ein Teil des Hafens Galatz aufgebaut. In malerischer Anordnung lagen alte Weltmeer-Segler vor Anker, und am Kai lagen Ballen und Fässer, Hafenarbeiter taten ihre Arbeit -- auf allen schien der Druck von etwas Unheimlichem, Grauenhaftem zu lasten --, und in gespensterhaftes Licht getaucht, in pechrabenschwarzer Nacht, machte die Scene selbst auf den Fachmann hervorragenden Eindruck, der gewöhnt ist, hinter die Kulissen des Films zu schauen. -- Unweit der Segler stand ein Flugzeug auf dem Erdboden; der Motor gab dem Propeller Schwung, und -- im Hafen blähen die Segel sich mächtig, und die Fähnlein und Wimpeln flattern lustig im Wind. -- Wie immer, wird auch hier jede Scene, bevor sie dem Regisseur Murnau kurbelreif übergeben wird, vom künstlerischen Direktor der Firma, Herrn Albin Grau, nach psychologischen und malerischen Grundsätzen bis ins einzelne hinein peinlich durchgearbeitet, vor dem Aufbau in künstlerischer Zeichnung zu Papier gebracht. Jede Geste, jedes Kostüm (um 1840 herum), jeder Schritt und jede Bewegung muß nach den Gesetzen psychologischer Wirkung auf den Zuschauer abgezirkelt sein. Grau und Murnau leisten dabei eine beachtenswerte Filigranarbeit, ohne das Großzügige ihres Werkes außer acht zu lassen.

Der Film (Berlin) vol. 6, no. 43, 23 Oct 1921, p. 24.



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NOTES



Das Fest des Nosferatu

Der Ball, den die Prana-Film-Gesellschaft nach echt amerikanischem Muster anläßlich der Festspiele zu Ehren des Prana-Großfilms "Nosferatu" arrangiert hat, findet am Sonnabend, den 4. März, in den gesamten Räumen des Zoologischen Gartens statt. Die Festspiele beginnen pünktlich 8 Uhr. Erscheinen in Biedermeier erwünscht, aber nicht erforderlich.

Film-Kurier (Berlin) vol. 4, no. 50, 03 Mar 1922, p. 2.

"Nosferatu", der Prana-Großfilm, füllt als Uraufführungsfilm die zahlreichen und bequemen Sitzplätze des Primus-Palastes, der dem außerordentlichen Interesse des Publikums für diese stark in Anspruch genommenen Karten vorverkaufsgerecht werden mußte.

Berliner Filmspielplan in der Woche vom 16. bis 22. März. Der Kinematograph (Düsseldorf) vol. 16, no. 788, 26 Mar 1922.



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ADS



Nosferatu ad

Film-Kurier (Berlin) vol. 3, no. 213, 13 Sep 1921.


Nosferatu ad

Film-Kurier (Berlin) vol. 4, no. 50, 03 Mar 1922, p. 4.


Nosferatu flyer

Flyer for our 11 Apr 2005 Berlin screening (front).


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Last update (this page): 14 Jan 2008.

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