BOOK REVIEW

Alan Moore, Kevin O'Neill
The League of Extraordinary Gentlemen 1 + 2

Bad Tölz: Thomas Tilsner SPEED Comics 2003 + 2004
192 pages + 216 pages, German text
ISBNs 3936068135 + 3936068720

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Vol. 2
    The League of Extraordinary Gentlemen vol. 2 (Cover)The League of Extraordinary Gentlemen vol. 1 (Cover)

Abstract in English: If you have to make a choice, we recommend rather reading the comic books than seeing the film. Although it's a pleasure watching Sean Connery kicking ass, Alan Moore's original book is a so much more sophisticated, intellectually stimulating piece of work, a wonderful pastiche, starring pop cultural icons of the late 19th and early 20th century such as Dracula's love interest Mina Murray, and adventurer Allan Quatermain. It's a game with references and quotations, and one particular answer to the question: What if different literary characters meet?

1999, an der Schwelle zu diesem Jahrhundert, erschien in Amerika das erste Heft der League of Extraordinary Gentlemen mit Abenteuern eines Teams englischer Superhelden in der Zeit Königin Viktorias, an der Schwelle zum letzten Jahrhundert. Der Autor, Engländer Alan Moore, der in Amerika durch seine Comictexte berühmt wurde (Watchmen, Batman: The Killing Joke, From Hell), spielt mit der Frage: Was passiert, wenn verschiedene literarische Helden einander begegnen? Wie er das macht, ist ein intellektuelles Vergnügen, denn kunstvoll verstrickt er miteinander die Geschichte von Figuren, die er aufliest in der Zeit nach ihren bekannten Abenteuern, sogar nach ihrem literarischen Tod. Diese Figuren stammen aus der (meist) europäischen fantastischen Literatur: Wilhelmina Murray (aus Dracula), Allan Quatermain (König Salomons Diamanten), Käpt'n Nemo, Dr. Henry Jekyll (nebst Mr. Edward Hyde) und Hawley Griffin (Der Unsichtbare). Auch Poes französischer Detektiv Auguste Dupin (Die Morde in der Rue Morgue), Melvilles Seemann Ishmael (Moby Dick) und Sherlock Holmes haben Gastauftritte. Und das sind nur die Guten!

Die Geschichte ist voller Zitate und Anspielungen auf die Welt der Popkultur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, hin und wieder auch Andeutungen der späteren Erben dieser Popkultur. So heißt der Chef des britischen Geheimdienstes bereits M (das Geheimnis dieses Pseudonyms wird in Band 1 gelüftet), und sein Gehilfe ist ein gewisser Campion Bond. Wir dürfen wohl annehmen, dass ein Mitglied seiner Familie in den 1960er Jahren ebenfalls als Geheimagent arbeiten und ähnlich fantastische Abenteuer erleben wird wie die Liga zur Jahrhundertwende. Und wenn die Nautilus in Band 2 einen kleinen Jungen aufliest, der den Angriff der Marsianer auf London überlebt hat, wird dieser Junge später ein Professor, der in dem Comicstrip Der Metallfisch aus dem Jahr 1949 ebenfalls ein Unterseeboot baut (eine ausgezeichnete Website mit Annotationen zu all den Anspielungen und Zitaten in Text und Bild hat Jess Nevins verfasst).

The League of Extraordinary Gentlemen erschien im Original in zwei Staffeln à 6 Heften, die daherkamen wie Erzeugnisse aus dem 19. Jahrhundert. Der Pastiche, d.h. die liebevolle Nachbildung des älteren Stils, beschränkt sich nicht nur auf Form und Inhalt der Geschichte selbst, sondern auch auf das Beiwerk: Die Autoren werden in fiktiven Biografien vorgestellt, es gibt Anzeigen allerlei nützlicher Produkte, und alle Texte sind im gehobenen zeitgenössischen Stil verfasst, selbst die (von echten Lesern geschriebenen) Leserbriefe, welche allerdings in der Buchausgabe fehlen. Enthalten sind allerdings umfangreiche Beigaben, z.B. in Band 1 Moores Kurzgeschichte "Allan und der geteilte Schleier", in der Allan Quatermain auf H.G. Wells‘ Zeitreisenden trifft. Oder in Band 2 der "Almanach für Reiselustige", eine Rundreise durch die mystischen Orte der gesamten Literaturgeschichte. Darin finden sich auch einige Andeutungen, wie es mit der "Liga" weitergehen könnte. Am Ende von Band 2 ist die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen zerschlagen, zurück bleiben nur Mina Murray und Allan Quatermain. Im "Almanach" erfahren wir, dass Mina sich nach der Jahrhundertwende mit Allans Sohn zusammentut, der ebenfalls Allan Quatermain heißt, und dann eine neue Liga gründet, mit der sie einen neuen Feind bekämpft. Falls Moore noch einmal eine Fortsetzung schreibt (und das ist ja wahrscheinlich), dürfen wir uns freuen auf Begegnungen u.a. mit Arsene Lupin, Fantomas und Professor Challenger.

Die im letzten Jahr uraufgeführte Film-Adaption (jetzt erhältlich auf DVD) simplifiziert und verändert die meisterhafte Vorlage. Von der Geschichte wurden nur einzelne Motive übernommen: die Zusammenführung der Liga, das Geheimnis von M, der Feind in den eigenen Reihen. Selbstverständlich wurde eine Jugendfreigabe angestrebt (die eine originalgetreue Verfilmung der Vorlage niemals erreicht hätte) und die Figuren verändert, um einem jungen amerikanischen Publikum zu gefallen: Mit dabei sind jetzt auch der unsterbliche Dorian Gray und der amerikanische Geheimagent Tom Sawyer. Der Unsichtbare trägt, um Rechtsstreitigkeiten aus dem Wege zu gehen, nicht mehr den Namen aus Wells‘ Roman, und die Figur des Campion Bond wurde ganz gestrichen. Minas Rolle einer emanzipierten Frau, die sogar Leiterin der Liga ist, wurde reduziert. Sie heißt jetzt wieder Harker, wohl um die Herkunft aus dem Dracula-Roman deutlicher zu machen (dessen Rechte frei sind). Und die dort beschriebene Begegnung hat ihr im Film nicht nur einen entstellten Hals, sondern ihrerseits vampirische Superkräfte verliehen.

Der Film wurde nicht etwa im Geiste der Vorlage als Ensemble-Film mit sieben gleichberechtigten Stars inszeniert, sondern in Plot und Werbung ganz auf Sean Connery zugeschnitten. Alan Moores tattriger, drogenabhängiger Quatermain wird zu Connerys Version des virilen 72jährigen, der zuschlägt wie ein 31jähriger James Bond. Gewiss, es macht Spaß, Connery zuzuschauen, wie er kräftig austeilt. Aber so wird aus der vielschichtigen Vorlage ein glatter Action-Film, wie wir viele kennen. Mit Explosionen und Computertricks und einer im zweiten Teil ganz und gar vorhersagbaren Handlung. Nur die Exposition ist noch interessant. Muss es wirklich so sein, dass Filme, die viel Geld kosten, auf Nummer sicher gehen und alles tun müssen, um den vermeintlichen Geschmack des Massenpublikums zu bedienen? Wenn ja, kann man ab einem bestimmten Budget keine guten Filme mehr machen. Alan Moore hat schon im Vorfeld gesagt, dass er sich Verfilmungen seiner Stoffe nicht anschaut: "Wenn Leute mir viel Geld geben, um Filme zu machen, die den gleichen Titel tragen und ein paar Figuren verwenden, die aus meinen Comics stammen, dann werde ich das nicht ablehnen. Aber ich habe kein Interesse, diese Filme zu sehen." Er hat nichts verpasst. Es sei denn, er ist ein Fan von Sean Connery.

OLAF BRILL
01 Feb 2004

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filmhistoriker.de, edited by olaf brill.

Last update (this page): 21 Jul 2004.

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